Mehr Toleranz und Akzeptanz gegenüber der Verschiedenheit in unserer Gesellschaft  – Sonja Borowski

Name: Sonja Borowski
Herkunft:Mehr Toleranz & Akzeptanz gegenüber der Verschiedenheit in unserer Gesellschaft Aufgewachsen in Hamburg, Studienort Kiel
Alter: 25
Beruf: Masterstudentin des Studiengangs Forschung, Entwicklung und Management in der Sozialen Arbeit

Wann und wie wurde deine Legasthenie erkannt?

Meine Grundschulzeit war nicht leicht. An der Schule im Vorort von Hamburg hatten die Lehrer*innen und der Schulleiter leider keine Kenntnisse zum Thema Legasthenie. Sie haben mich aufgegeben, sie waren im Rahmen unseres Systems überfordert, am Ende ihrer Kenntnisse und Möglichkeiten. Eine sehr gute Lerntherapeutin hat erst die Legasthenie bei mir diagnostiziert und dann meinen Eltern die Sprachheilschule vorgeschlagen. Der sofortige Wechsel Mitte der vierten Klasse war die beste Entscheidung in der damaligen Situation. Dort haben gut ausgebildete Lehrer*innen in kleinen Klassen mir ermöglicht meine Stärken zu erkennen und meinen individuellen Weg zu finden. Die Lerntherapie war viele Jahre neben dem abendlichen Üben Zuhause sehr wichtig. Damit Chancengleichheit gelebt werden kann, dürfen effektive Lerntherapien nicht weiter nur für Kinder möglich sein, deren Eltern die finanziellen Mittel haben.

Hatte die Legasthenie Einfluss bei deiner Berufswahl? Wenn ja, inwiefern?

Die Legasthenie hat mich bestärkt mich nicht einschränken zu lassen und eines Tages im Schulsystem an einer Entwicklung der Inklusion mitzuarbeiten. Für das Gelingen bedarf es kreative und engagierte Menschen, die sich in die Situation von Kindern hineinversetzen können und im Sinne aller Schüler*innen das System verändern und handeln. Ab der sechsten Klasse wusste ich, dass ich eines Tages etwas Soziales studieren möchte, deshalb habe ich bewusst eine schulische Ausbildung nach der Realschule absolviert, um ohne zweite Fremdsprache das Fachabitur zu erlangen. Hierdurch war der Weg frei für ein Studium. Den aktuellen Schritt den Master auf den Bachelor aufzubauen bin ich gegangen, um Leitungspositionen professionell besetzen zu können und alle Möglichkeiten zu haben auch eventuell mit der Schulbehörde arbeiten zu können.

Hast du in der Bewerbungsphase preisgegeben, dass du Legasthenie hast?

Ja, ich gehe in Bewerbungsgesprächen sehr offen mit meiner Besonderheit der Legasthenie um. Das Thema Lesen und Schreiben wird immer einen besonderen Stellenwert in meinem Leben haben, aber nicht mehr im Negativen. Mögliche Arbeitgeber*innen und Kolleg*innen sollen wissen, dass ich eventuell jemanden zum Korrekturlesen brauche, aber dass ich dank der Legasthenie auch wichtige Stärken habe und diese einzusetzen weiß.

Falls Ja, wie hast du die Legasthenie erwähnt und wie sah die Reaktion aus?

Abhängig von der Situation passe ich einen Moment ab, wo im Gespräch die Erwähnung der Legasthenie passt. Oft erzählen die Gegenüber dann, dass sie selber betroffen sind oder andere kennen, die damit auch zu tun haben. Zum Beispiel eine Schulleiterin, in deren Schule ich einen Nebenjob hatte, kannte selber die Stärken von Menschen mit Legasthenie und war regelrecht begeistert. Manchmal nutze ich auch die Chance durch die Erwähnung meines Engagements im Bereich Legasthenie und Dyskalkulie, die Unterstützung zu erwähnen, die ich bei der Kontrolle von Texten bedarf.

Falls Nein, warum hast du die Legasthenie nicht erwähnt?

Die Legasthenie erwähne ich immer erst im persönlichen Gespräch. Mein Engagement in der Gruppe der Jungen Aktiven im Bundesverband für Legasthenie und Dyskalkulie e.V. gebe ich allerdings in jedem Lebenslauf an.

Wie macht sich die Legasthenie im heute Beruf bemerkbar?

Im Lesen habe ich keine Probleme mehr, auch das Schreiben funktioniert gut. Ich bin aber dankbar, wenn es jemanden gibt, der über geschriebene Texte drüber schaut, dies ist mir allerdings nur bei allen Dingen die nach außen gehen wichtig, z.B. Bewerbungen oder Hausarbeiten. Ich bin im Beruf dank meiner Legasthenie offener und verständnisvoller anderen Menschen gegenüber. Schwerwiegende Probleme habe ich noch bei keinem Job oder Studium gehabt, dank Rechtschreibprogrammen und einer Signatur unter jede E-Mail, die auf das Thema Legasthenie aufmerksam macht, habe ich keine Angst mehr, dass sich über mich lustig gemacht wird. Die offenen Rückmeldungen über meinen Umgang mit meiner Besonderheit wird durchweg positiv und dankbar aufgenommen.

Wie wirkt sich die Legasthenie im sonstigen Alltag aus?

Dank meiner E-Mail Signatur:
Für meine Rechtschreibung kann ich keine Gewähr übernehmen!
Ich bin ein Mensch mit Legasthenie.
Informationen sind zu finden unter:
http://www.bvl-legasthenie.de/ausbildung-beruf/jugendgruppe.html
suche ich niemanden mehr, der meine Mails kontrolliert, ansonsten gehe ich in meinem Alltag sehr offen mit dem Thema Legasthenie um, kläre über das Thema auf. Ich versuche mehr Toleranz und Akzeptanz gegenüber der Verschiedenheit in unserer Gesellschaft zu erreichen.

Welche Eigenschaft besitzt du, die aufgrund der Legasthenie besonders ausgeprägt ist?

Ich denke, dass ich sehr tolerant, offen, zielstrebig und feinfühlig bin. Situationen in denen andere Menschen sich nicht wohlfühlen und Unterstützung / Beistand bedürfen erkenne / erfühle ich schnell und kann dementsprechend handeln. Ich arbeite geplant, organisiert und mit Überzeugung an meinen Projekten. Sicher bin ich mir auch, dass wir Menschen mit Legasthenie viele Strategien haben, wie wir effizient Probleme lösen können. Darüber hinaus kann ich mir gut Texte merken und kann Menschen motivieren und stärken.

Welche prägende Ereignisse gab es bisher in Deinem Leben?

Nach dem Fachabitur durfte ich ein FSJ in Südafrika erleben. Dort habe ich ein Jahr in Townships um Pretoria herum gearbeitet und viel für das Leben lernen dürfen, sowie Menschen getroffen, die mich sehr geprägt haben.

Meine aktiven Jahre in der Schülervertretung von Hamburg und die drei Jahre bei den Jungen Aktiven haben mir gezeigt, wie wertvoll es ist, offen über die eigene Lebensgeschichte zu sprechen und anderen Mut zu machen, sowie für andere zu kämpfen. Ein Teilnehmer sagte einmal, dass unsere Gruppe ein neuer Lebensbeginn für ihn bedeuten würde, das hat alle Arbeit und Bemühungen belohnt.

Während meines Fachabiturs habe ich einen Schulpreis gewonnen. Dafür habe ich so etwas wie ein Buch über mein Leben geschrieben und wurde geehrt. Genau wie viele weitere positive Rückmeldungen z.B. nach Zeitungsartikeln über mich, haben meinem Selbstbewusstsein geholfen. Beeindruckt hat mich, dass ich dank der Hans-Böckler-Stiftung ein Stipendium habe und mich so neben meinem Studium auch weiter engagieren kann. Dieser Zuspruch bestärkt mich in meinem Tun.

Welche Tipps würdest du anderen Menschen mit einer Legasthenie auf dem Weg geben?

Sucht Euch andere Menschen mit Legasthenie oder Dyskalkulie, tauscht Euch aus, gebt niemals auf und kämpft immer weiter. Bei Bedarf weicht nicht vor zum Beispiel Psychotherapie zurück, um Erlebtes zu verarbeiten und die Stärken in Euch zu finden. Seid offen, viele Menschen haben einfach keine Ahnung und sprechen / handeln aus Unwissenheit. Klärt sie auf, dann verändern wir etwas gemeinsam!

22.11.2017

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